Raya Badraun

Journalistin

Keine Magie im Pub

Text und Bild: Raya Badraun

«No», sagt die Frau hinter dem Tresen. Dabei zieht sie das O in die Länge und verzieht ihr Gesicht zu einer Grimasse. Die Leichtathletik-WM wird im «Old King’s Head» nicht gezeigt. Dabei wäre an der Wand sogar ein Bildschirm aufgehängt. Doch dieser bleibt an diesem Abend ausgeschaltet. Auch zu essen gibt es im Pub nichts mehr. Also raus auf die Strasse. Und weiter geht’s.

Dass es so schwer werden würde, hätte ich nie gedacht. In den vergangenen Tagen war das Stadion fast immer bis auf den letzten Platz besetzt. Auch im Olympiapark spürte man die Begeisterung. Bereits Stunden vor den Wettkämpfen war das Areal voller Menschen, die mit Fähnchen in den Händen auf den Wiesen sassen und auf das Spektakel warteten. Es schien fast so, als wäre die ganze Stadt, wenn nicht sogar das ganze Land, im Leichtathletik-Fieber. Dieses Sportfest wollte ich aus nächster Nähe miterleben – irgendwo in einem Londoner Pub. Ich stellte mir fettige Fish and Chips auf Holztischen vor, unzählige Biergläser und natürlich jubelnde Menschen, die auf einen Fernsehbildschirm starren und sich immer wieder zuprosten. Wie man sich doch irren kann!

Kurz vor 19 Uhr stellt die Barkeeperin im «Flying Horse» das erste Bier auf den Tresen. «Live sport – 7 days a week» steht auf einer Tafel beim Eingang. Gleich vier Bildschirme hängen an der Wand, drei zeigen einen Zusammenschnitt von Tennismatches, einer ein Motocrossrennen. Auch nach 20 Minuten, als im Olympiastadion die Speerwerferinnen den Wettkampftag eröffnen, denkt niemand ans Umschalten. Also raus auf die Strasse. Und weiter geht’s.

An Bars und Pubs mangelt es in Shoreditch eigentlich nicht. Doch entweder fehlt ein Fernseher, den man hätte anschalten können – oder es läuft Fussball. Die WM hingegen scheint niemanden wirklich zu interessieren. Ich will schon aufgeben, zurück zur U-Bahnstation laufen. Doch plötzlich stehe ich vor dieser Bar. «The Bricklayers Arm» zeigt auf einem kleinen Bildschirm Leichtathletik. Soeben läuft der Vorlauf über 400 m Hürden der Frauen. Die Barkeeperin stellt einen Cider auf den Tresen. Die Hürdenläuferinnen machen sich bereit, rennen los. Doch etwas fehlt. Die Musik in der Bar übertönt die Tonkulisse im Stadion. Es ist fast so, als würde man Pommes ohne Mayonnaise essen. Es macht einfach keinen Spass. Die ganze Magie geht verloren, wenn man die Stille vor dem Rennen nicht miterlebt und das Toben der Zuschauer kurz nach dem Start. Also raus auf die Strasse, zurück ins Stadion. Dorthin, wo die Briten dieses Leichtathletikfest so richtig feiern.

Diese Kolumne erschien während der Leichtathletik-WM in London im St. Galler Tagblatt.

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