Raya Badraun

Journalistin

„Alarm, Alarm, das stimmt gar nicht“

Der Journalist Helge Timmerberg reist seit über 30 Jahren um die Welt. Fünf Dinge, die wir von ihm lernen können. Und ein Tipp, der nicht jedem hilft.

Reflexe-Interview Helge Timmerberg

Helge Timmerberg mit Zigarette.

Text: Raya Badraun/Bilder: Michel Canonica

Eine Begegnung mit Helge Timmerberg vergisst man nicht so schnell. Dabei geht es nicht einmal nur um die Geschichten, die er erzählt. Der Reisejournalist ist eine Erscheinung. Mittlerweile ist er 64 Jahre alt, die Haare trägt er jedoch noch immer lang, wie damals als Jugendlicher. Die Augen sind wach, das Lachen herzlich.

Zum Interview schlägt er den Bahnhof St. Gallen vor – ein Ort, der ihm viel bedeutet. Züge kommen an, Menschen steigen ein und aus. Dann donnert der Zug weiter.

Bei Kuchen und Kaffee raucht Helge Timmerberg die erste von vielen Zigaretten. Neben dem Aschenbecher liegt mein Aufnahmegerät. Auf seinen Reisen schreibe er sich nichts auf, sagt Timmerberg. Die wichtigsten Ereignisse und Aussagen bleiben ihm im Gedächtnis. „So wird es euch auch gehen“, sagte er – und behält Recht.

Fünf Dinge, die ich von Reisejournalist Helge Timmerberg gelernt habe und ein Tipp, der nicht jedem hilft:

1.    Umdenken. Geschichten plant man gerne am Schreibtisch. Man überlegt sich, mit wem man sprechen möchte und welche Szenen man erleben will. Vor Ort ist dann meist alles anders. Manche versuchen dennoch verbissen, die bereits vorgeschlagene Geschichte umzusetzen. „Das habe ich ziemlich schnell aufgegeben“, sagt Helge Timmerberg. Die Geschichte, die man stattdessen zurück in die Redaktion bringt, muss jedoch um einiges besser sein, als die geplante.

2.    Weglassen. Journalisten haben oft das Gefühl, dass sie ein Thema in allen Facetten beleuchten müssen. „Das ist falsch“, sagt Helge Timmerberg. Auch in seinen Geschichten gab es früher Stellen, von denen er dachte, sie würden die Geschichte rund machen und alles erklären. Beim Lesen oder Vorlesen merkt er heute jedoch, dass sie einfach nur langweilig sind.

3.    Erzählen. Distanz zum Thema schafft auch Distanz zum Leser. So sieht es Helge Timmerberg. Deshalb schreibt er seit Jahren nach einer einfachen Maxime: „Erzähl die Geschichten so, als würdest du sie deinem besten Freund erzählen.“ Dies gelte jedoch nur für Reportagen, nicht für Nachrichten.

4.    Recherchieren. In vielen Zeitungsartikeln steht, dass Helge Timmerberg über 200 Länder bereist hat. Blöd nur, dass es auf der Welt lediglich 194 Staaten gibt. Und auch in diesen war er nicht überall. In Australien hat er zum Beispiel noch nie einen Fuss auf die Erde gesetzt. „Irgendjemand hat das einmal gesagt und ich bin nicht gleich aufgestanden und habe gesagt: Alarm, Alarm, das stimmt gar nicht. So wurde es immer weiter verbreitet.“

5.    Erleben. Helge Timmerberg war mit Goldsuchern in Brasilien unterwegs, fuhr mit dem Velo durch Indien und feierte in Kuba. Kann ein Mensch so viel erleben? „Alles ist wahr“, sagt Helge Timmerberg. Einerseits könne er nur schlecht fantasieren, andererseits habe er es nicht nötig. „Wenn ich jedoch mein ganzes Leben in Wien oder St. Gallen verbracht hätte, müsste ich wahrscheinlich auch lügen, um eine abenteuerliche Geschichte zu erzählen.“

6.    Kiffen. Schreiben kann Helge Timmerberg nur dann, wenn er kifft. Dadurch ist nicht nur seine Sprache poetischer und die Zugänge spannender. „Ich komme auch schneller in meine Gefühle hinein, die ich damals hatte“, sagt Helge Timmerberg. Als er nach 20 Jahren eine Geschichte über Goldsucher aufgeschrieben habe, sei er beim Schreiben wieder komplett im Wald gewesen.

Das Interview „Man tut sich einiges an, um das Einhorn zu finden“ erschien in der „Ostschweiz am Sonntag“.

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